Forschungsprojekt zum sicheren Betrieb der Stromnetze: Assistenzsystem LI-SA soll unterstützen, online die Stabilität für Netze mit geringer Trägheit zu bewerten

Die Stabilitätsbewertung im Stromnetz wird komplexer. Noch wird die Netzfrequenz wesentlich über die Trägheit der Schwungmassen von Großkraftwerken stabilisiert. In naher Zukunft jedoch werden auch verteilte Anlagen die Netzdynamik über ihre Stromrichterregelung bestimmen. Um eine Steuerung der Netze bei einem hohen Anteil von Photovoltaik- und Windkraftwerken abzusichern, arbeiten Forschende des Fraunhofer IEE mit verschiedenen Partnern an digitalen Assistenzsystemen für Netzbetreiber. Ziel des Forschungsprojektes LI-SA “Assistenzsysteme für einen sicheren Betrieb von Verbundnetzen mit geringer Trägheit“ ist es, eine vorausschauende Online-Bewertung des Zusammenspiels von Anlagen mit geringer mechanischer Trägheit in den Leitwarten der Netzbetreiber zu ermöglichen.

© Fraunhofer IEE
Treffen zum Projektstart von LI-SA am Fraunhofer IEE in Kassel.

„Mit der Energiewende ändern sich die Anforderungen an das Stromnetz. Sonne und Wind entwickeln sich zu den wichtigsten Stromquellen, neue Verbraucher wie elektrische Fahrzeuge, Wärmepumpen oder Elektrolyseure kommen hinzu. Netzbetreiber sorgen für eine sichere Stromversorgung, indem sie die Erzeugung und Last in den verschiedenen Spannungsebenen permanent im Gleichgewicht halten“, erklärt Dr. Philipp Strauß, stellv. Institutsleiter des Fraunhofer IEE.

„Versorgungssicherheit bedeutet, den Strombedarf der elektrischen Lasten jederzeit und in definierter Qualität abzudecken. Dazu müssen Frequenz und Spannung im Netz stabil gehalten werden. Diese Aufgabe wird mit dem Umbau der Energieversorgung deutlich komplexer und wir benötigen neue Rechenmodelle, die alle relevanten Vorgänge und insbesondere die stromrichtergekoppelten Anlagen im Netz berücksichtigen,“ erläutern Projektleiterin Dr. Diana Strauß-Mincu und Projektleiter Dr. Thomas Degner

Das Kick-off-Treffen des Forschungsprojekt LI-SA fand im März 2023 statt. Gefördert wird das Projekt vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz in den kommenden drei Jahren mit 4 Millionen Euro. Neben dem Koordinator Fraunhofer IEE beteiligen sich das Fraunhofer IOSB, die Unternehmen PSI Software AG und Avasition GmbH sowie die Übertragungsnetzbetreiber TenneT TSO GmbH und TransnetBW GmbH.

Das Konsortium erforscht, wie mögliche Instabilitäten im Stromnetz rechtzeitig erkannt werden können und entwickelt modulare Assistenzsysteme für die dynamische Stabilitätsbewertung des Netzes. Diese Module sollen dann in einer gemeinsamen Umgebung getestet und damit für den Einsatz in den Leitwarten vorbereitet werden.   

In einem vernetzten System können lokale Fehler über Kettenreaktion eine große regionale Wirkung entfalten. Daher sind neben Momentaufnahmen auch Bewertungen wichtig, die die zeitliche und räumliche Entwicklung berücksichtigen. Den Schwerpunkt von LI-SA bildet die Entwicklung eines modularen Assistenz-Tools, das die heutigen Assistenzsysteme um dynamische Stabilitätsbetrachtungen ergänzt. Erprobt wird das Tool mit einer Simulation der realen Vorgänge im Stromversorgungssystem: Ein digitaler Zwilling des Netzes ermöglicht anhand bekannter Netzdaten eine dynamische Sicherheitsbewertung.

Der digitale Zwilling eröffnet tiefe Einblicke in das Zusammenspiel der Anlagen über die verschiedenen Spannungsebene hinweg. Im Mittelpunkt der Forschung steht dabei die Systemträgheit. „Im Forschungsprojekt LI-SA wird die jeweils momentan verfügbare Trägheit der Anlagen in stromrichterdominierten Netzen erfasst und damit die Frequenzstabilität bewertet. Weitere wichtige Aspekte sind Stabilitätsanalyse und -bewertung der Stromrichterregelungen.“ berichtet Strauß-Mincu.

Das Forschungsinteresse spiegelt die Veränderungen in der Stromerzeugung: In einem System mit Großkraftwerken bringen große Schwungmassen, Trägheit und Stabilität in die Netze. Die konventionellen Photovoltaik- und Windkraftanlagen reagieren hingegen innerhalb von Bruchteilen von Sekunden und je nach Technologie bzw. eingesetzter Regelung unterschiedlich, da technische Niveaus verschiedener Baujahre nebeneinander existieren: die konventionellen Stromrichter folgen der Spannung am Netzanschlusspunkt, während neue netzbildende Einheiten am Netzanschluss eine Spannung einprägen und sich eher wie Synchrongeneratoren verhalten.

Bisher waren derartige Assistenzsysteme nicht erforderlich, weil die Netzbetreiber sich auf das träge Verhalten der konventionellen Kraftwerke und ihre jahrzehntelange Erfahrung verlassen konnten. Der rasante Zubau stromrichtergekoppelter Anlagen verändert die Dynamik der Stromsystems und machen neue Tools erforderlich, um das hohe Stabilitätsniveau zu halten oder sogar zu verbessern.

LI-SA verbindet existierende Assistenz-Tools mit den neu zu entwickelnden Erkennungs-, Bewertungs- und Visualisierungsmodulen. Im Anschluss wird das gesamte LI-SA System in Echtzeit für kundenspezifische Anforderungen erprobt und demonstriert – hierbei wird eine realitätsnahe Modellierung der geregelten Stromrichter in den digitalen Zwillingen angestrebt, um eine realistische Methodenbewertung vornehmen zu können.

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Fraunhofer IEE

„Systemstabilität kann durch viele Faktoren beeinflusst werden. Mit dem Projekt LI-SA entwickeln wir neue digitale Verfahren und Tools für Netzbetreiber, um die relevanten Einflussgrößen im Systembetrieb zu überwachen und zu steuern.“

Im Projekt Lisa setzt Fraunhofer IEE seine Kernkompetenz im Bereich der stromrichterdominierten Netze ein. Die Wissenschaftler:innen bringen Kenntnisse und Methoden zur Modellbildung, Simulation, Stabilitätsanalyse und Stabilitätsbewertung unter Berücksichtigung der Systemdynamik in das Projekt ein.

 

Fraunhofer IOSB-AST

„Steigende Systemdynamiken und Komplexitäten erfordern weitergehende Maßnahmen für den sicheren Betrieb cross-sektoraler Energieversorgungs-Infrastrukturen.“

Das Fraunhofer IOSB-AST forscht an neuen kybernetischen Methoden und Verfahren zur Steuerung komplexer Systeme und überführt diese in Applikationen für elektrische oder cross-sektorale Energiesysteme. Mit den Möglichkeiten digitaler Zwillinge im Zusammenspiel mit KI-basierten Methoden zur Anomalieerkennung und Trägheitsbewertung stellen die Entwicklungen im Projekt LI-SA einen wesentlichen Beitrag zur Erhöhung der Netztransparenz zukünftiger Energiesysteme dar. Dabei liegt der Fokus auf anwendungsnahen Modellen und Analyseverfahren zur Unterstützung der Systemführung.

 

PSI Software AG

„In der Leitwarte laufen die komplexen Informationen zusammen und müssen richtig bewertet werden. Dies wird mit einer optimalen Präsentation der Daten signifikant erleichtert. Damit entlasten intelligente Assistenzsysteme die Arbeit der Betriebsingenieure und sorgen für Entscheidungssicherheit.“

PSI entwickelt und integriert auf der Basis eigener Softwareprodukte komplette Lösungen für die Optimierung des Energie- und Materialflusses bei Versorgern und Industrieunternehmen. Auf dem Gebiet der Netzleittechnik bietet der Geschäftsbereich PSI Energie EE Systeme für die Überwachung und Steuerung aller Energienetze, die Optimierung des Asset-Services (Entstör-, Instandhaltungs- und Krisenmanagement) sowie Systeme zur Automatisierung. Für eine dynamische Netzsicherheitsrechnung und Stabilitätsbewertung unterstützt die PSI-Software die Netzbetreiber mit Assistenzsystemen und Erfahrungen in dynamischen Simulationen.

 

Avasition GmbH

„Realitätsnahe digitale Zwillinge ermöglichen einen tiefen Einblick in den Zustand des Netzes, eine adäquate Risikoeinschätzung sowie eine Bewertung von Steuerungsmaßnahmen.“

Weltweit resultieren in Stromrichter-dominierten Netzen diverse Herausforderungen für Netzplanung, Netzintegration und Netzbetrieb sowie für Projektabwicklung und Komponentenentwicklung. Avasition möchte mit konsistenten Prozesswerkzeugen einen Beitrag zur Problemlösung leisten.

Konkret werden detaillierte digitale Zwillinge für Netze mit leistungselektronischen Betriebsmitteln zur Ausführung auf PC/Server sowie auf eigens entwickelter dedizierter Echtzeit-Hardware entwickelt, hochwertige Regelungsalgorithmen ständig optimiert und umfassende Netzintegrations- und Stabilitätsuntersuchungen vorgenommen. Anwendungen reichen u.a. von HVDC-Systemen über Windparks bis hin zu Bahnsystemen.

 

TenneT TSO GmbH

„Der Stromtransport ist anspruchsvoller geworden. Viele Anlagen stehen nicht an den Verbrauchsschwerpunkten. Daher müssen wir mehr regeln, um das Netz im Gleichgewicht zu halten. Eine weitreichende digitale Unterstützung ist uns dabei willkommen.“

TenneT TSO ist ein europäischer Übertragungsnetzbetreiber mit Geschäftstätigkeiten in den Niederlanden und in Deutschland. Die Kernaufgaben von TenneT sind die Gewährleistung einer sicheren Stromversorgung, die Bereitstellung von Übertragungsdienstleistungen durch den Transport des Stroms über das Hoch- und Höchstspannungsnetz sowie die Bereitstellung von Systemdienstleistungen.

 

TransnetBW GmbH

„Systemführung mit vielen dezentralen Anlagen bringt neue Herausforderungen mit sich, auf die wir uns vorbereiten. Um die richtigen Entscheidungen zeitgerecht fällen zu können, brauchen wir geeignete, neuartige, digitale Assistenzsysteme.“

Als Übertragungsnetzbetreiberin sichert TransnetBW die Stromversorgung von rund elf Millionen Menschen in Baden-Württemberg. Das Unternehmen schafft die Infrastruktur der Energiewende, indem es das Stromnetz instand hält, optimiert und bedarfsgerecht ausbaut.

 

 

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