In kaum einem anderen Land der Welt fließt der Strom so verlässlich wie in Deutschland: Gerade einmal 10 bis 15 Minuten pro Jahr fällt hierzulande im Durchschnitt die Versorgung aus. Mit der Energiewende entstehen allerdings einige neue Herausforderungen bei der Aufgabe, die Versorgungssicherheit auf dem gewohnt hohen Niveau zu halten. Dabei geht es um weit mehr als Elektrizität: „Die Stromversorgung ist eine kritische Infrastruktur, von der wiederum andere kritische Infrastrukturen abhängen, etwa Kommunikationsnetze, der Verkehr oder die Gesundheitsversorgung. Deshalb ist das Strom-Versorgungssystem das technologische Rückgrat unserer Gesellschaft“, sagt Dr. Philipp Strauß, stellvertretender Leiter des Fraunhofer IEE und Forschungsleiter Netzstabilität und Stromrichtertechnik.
Gute Gründe also für das Fraunhofer IEE, einen Schwerpunkt seiner Forschungs- und Entwicklungsarbeit auf die Resilienz der Stromversorgung zu legen – und das schon seit vielen Jahren. „Die Aufgabe besteht im Kern darin, Netzplanung und -betrieb so robust zu gestalten, dass die Versorgung zu jeder Zeit gesichert ist“, umreißt Prof. Dr. Martin Braun, Forschungsleiter Netzplanung und Netzbetrieb am Fraunhofer IEE und zugleich Professor an der Universität Kassel, das Forschungsfeld des Instituts. „Dazu gehört auch, zu verhindern, dass es zu Blackouts kommt, wenn Störungen auftreten, etwa durch Naturkatastrophen, Sabotageakte oder menschliches respektive technisches Versagen. Und falls sich ein Blackout doch einmal nicht verhindern lassen sollte, gilt es, die Versorgung so schnell wie möglich wieder herzustellen“, so Braun.
Besonders dabei im Fokus der Fraunhofer- Forschenden: die Stromrichter. „Sie werden gemeinhin gerne übersehen, haben aber enorme Bedeutung für die Versorgungssicherheit“, sagt Strauß. Denn mit der Energiewende wird das System weit kleinteiliger – und damit komplexer. So ersetzen dezentrale Windenergie- und Photovoltaik-Anlagen die fossilen Großkraftwerke. Dazu kommen neue Verbraucher wie Wärmepumpen, Elektroauto- Ladestationen und Elektrolyseure sowie 5 Batteriespeicher. All diese Komponenten werden über Stromrichter in die Netze eingebunden. Und auch dort findet sich die Technologie, zum Beispiel an den Koppelstellen der einzelnen Netzebenen. Die Stromrichter sind so wichtig für die Resilienz des Energiesystems, weil sie zum einen Daten erfassen, aus denen sich dessen Zustand ablesen lässt – vor allem Strom und Spannung sowie, als abgeleitete Größe, die Frequenz. Und zum anderen dienen sie als Steuereinheiten, die den Stromfluss so organisieren können, dass die Stabilität der Versorgung gewährleistet bleibt. Dazu bringen sie bei Abweichungen von den Sollgrößen Trägheit ins System. Auf diese Weise verschaffen sie den Netzbetreibern Zeit, die nötigen Gegenmaßnahmen einzuleiten. Das Fraunhofer IEE hat nun – als eines von vielen Projekten in diesem Bereich – zusammen mit Partnern untersucht, über welche technischen Eigenschaften Stromrichter verfügen müssen, um ihrer Bedeutung für die Versorgungssicherheit gerecht werden zu können. Dabei hat das Institut die Gesamtkoordination übernommen; inhaltlich lag der Fokus der Fraunhofer-Forscher auf der Regelung der Stromrichter, die die benötigte elektrische Trägheit quasi synthetisch erzeugen. Die Ergebnisse aus diesem Projekt fließen künftig in die technischen Anwendungsregeln des VDE Forums Netztechnik und Netzbetrieb und in Normungsprozesse der Deutschen Kommission Elektrotechnik ein.
Darüber hinaus unterstützt das Fraunhofer IEE Netzbetreiber bei der kontinuierlichen Online-Bewertung der Netzstabilität mittels der Stromrichter. „Wir haben unter anderem eine neue Methode zur Unterstützung der Langzeit-Spannungsstabilität entwickelt, die Überlastungssituationen des Übertragungsnetzes minimalinvasiv begegnen kann. Dabei muss berücksichtigt werden, dass die Stromeinspeisung zunehmend aus den unteren Netzebenen erfolgt“, erklärt Strauß. Auch helfen Instrumente des Instituts den Netzbetreibern, auf solche Situationen zu reagieren: Sie schlagen den Mitarbeiter:innen der Leitwarten passende Gegenmaßnahmen vor und simulieren, was passiert, wenn sie diese ergreifen. Dabei berücksichtigen die Werkzeuge aus dem Fraunhofer-Institut als Nebenbedingung, Eingriffe wie etwa das Drosseln von Erzeugungsanlagen möglichst gering ausfallen zu lassen, da dies Kosten verursacht.
Stromrichter haben aber auch deshalb so große Bedeutung für die Resilienz des Systems, weil sie bei größeren Störfällen dafür sorgen können, dass sich Mikronetze bilden, in denen die Versorgung aufrecht erhalten bleibt. Und sie helfen beim Schwarzstart, also dem Hochfahren der Stromversorgung nach einem Blackout: Mit einer intelligenten Steuerung sorgen sie dafür, dass die einzelnen Erzeugungsanlagen in der richtigen Reihenfolge zum richtigen Zeitpunkt wieder ans Netz gehen können. Für beide Anwendungsfälle – Mikronetze und Schwarzstart – haben die Fraunhofer-Forscher:innen die jeweils nötigen Regelungsverfahren entwickelt. Bei all dem profitiert das Fraunhofer IEE von seiner jahrzehntelangen Beschäftigung mit Stromrichtern in Inselnetzen. „Wir wissen aus zahlreichen Projekten, wie man fragile Systeme mit Stromrichtern stabilisiert“, so Strauß. „Deshalb verstehen wir die Technologie und ihre Potenziale bestens, vom physikalischen Aufbau über deren digitale Regelung bis hin zu ihrer aktiven Integration ins Energiesystem.“
Zum Schutz vor Blackouts gehört aber natürlich auch, die Stromnetze so zu gestalten, dass ihr Ausfallrisiko möglichst gering ist. Das Fraunhofer IEE hat deshalb zahlreiche Netzstudien durchgeführt, die zeigen, wie sich die Resilienz bestehender wie neuer Netze stärken lässt. „Wir schauen uns zum Beispiel an, wie die Netzbetreiber Folgefehler und damit Kaskadenstörungen vermeiden können“, sagt Martin Braun. Auch nehmen die Fraunhofer-Fachleute unter die Lupe, welche Auswirkungen mögliche IT-Störungen auf die Versorgungssicherheit haben könnten. Darüber hinaus hat das Institut Planungsmodule entwickelt, mit denen die Netzbetreiber ihre Netze auf neue Anforderungen, etwa durch den Anschluss von Photovoltaik-Anlagen, Wärmepumpen oder Wallboxen, auslegen können. „Wir geben ihnen die nötigen Instrumente in die Hand, um ihre Netze zu minimalen Kosten auch resilienter zu machen“, erklärt Braun. So ermitteln die Optimierungs- Algorithmen der Module automatisch, wie sich die Netze bestmöglich verstärken lassen, etwa durch größere Leitungsquerschnitte, das Legen paralleler Leitungen, durch eine andere Verschaltung oder durch leistungsstärkere Transformatoren. Das geschieht auf Basis einer
vorangegangenen Modellierung der Netztopologie. Dabei stellen die Fraunhofer-Expert:innen eine robuste Netzauslegung potenziellen Ausfällen von Betriebsmitteln gegenüber und berücksichtigen auch die Handlungsoptionen zur möglichst schnellen Wiederversorgung nach einem Blackout. Zudem berät das Fraunhofer IEE Übertragungsnetzbetreiber, wie sie ihre Netze bei einem Versorgungsausfall künftig sicher und schnell wieder aufbauen können – schließlich müssen die etablierten Aufbaupfade im Zuge der Energiewende neu ausgestaltet werden. So geben Erzeugungsanlagen im Verteilnetz den Netzbetreibern etwa in Städten die Möglichkeit, diese Netze auch bei einem Blackout zumindest teilweise als Inselnetz weiterzubetreiben. “Wir kümmern uns also nicht nur darum, die Robustheit der Netze gegenüber Versorgungsausfällen zu steigern, sondern auch darum, bei einem Blackout die Netze schnell und sicher wieder zu versorgen“, fasst Braun zusammen.
Für den Netzbetrieb selbst hat das Fraunhofer IEE unter anderem Algorithmen entwickelt, die im Falle eines Engpasses selbsttätig ermitteln, wo Leistung in welchem Maße erhöht oder reduziert werden muss, um die Versorgung zu sichern. Dabei berücksichtigen die Forscher: innen auch mögliche Cyberangriffe, die Messwerte manipulieren und so zu falschen Handlungen verleiten. „Das geht so weit, dass wir selbst fiktive Angriffe durchführen, um besser erkennen zu können, wie sich solche Sabotageakte auswirken“, erläutert Braun. Die Netzbetreiber können diese und andere Instrumente des Instituts direkt in ihre Leitwarten- Systeme einbinden. Das gilt auch für eine Software des Instituts, die Betreiber von Verteilnetzen dabei unterstützt, einem Übertragungsnetzbetreiber Flexibilitäten aus ihren Netzen zur Verfügung zu stellen, so dass dieser kritische Situationen meistern kann. Zuvor müssen die Verteilnetzbetreiber allerdings erst einmal prüfen, welchen Spielraum sie hier überhaupt haben. Diese durchaus komplexen Berechnungen übernimmt ein KI-basierter Algorithmus des Fraunhofer IEE.
Ein sicherer Netzbetrieb setzt auch voraus, dass stets das nötige Maß an Blindleistung – das „Schmiermittel“ der Netze – zur Verfügung steht. In der alten fossilen Energiewelt stellen die fossilen Kraftwerke die Blindleistung bereit. Diese Aufgabe müssen künftig vor allem Erneuerbare-Energien-Anlagen sowie Speicher übernehmen. Die Fraunhofer- Forschenden untersuchen derzeit zusammen mit Partner:innen, wie sie diese Aufgabe bestmöglich erfüllen können.
Was qualifiziert das Fraunhofer IEE, all diese für die Systemsicherheit so zentralen Fragestellungen zu bearbeiten? „Angesichts der zunehmenden Komplexität des Energiesystems verlangt die Forschungs- und Entwicklungsarbeit zur Resilienz ein tiefes Verständnis der vielfältigen Wechselwirkungen innerhalb des Systems“, erklärt Braun. „Dieses Verständnis haben wir, dank unserer langjährigen Erfahrung und der Vielzahl an Themenfeldern, auf denen wir arbeiten.“ So befasst sich das Fraunhofer IEE mit Komponenten wie Stromrichtern genauso wie mit der Netzinfrastruktur auf allen Ebenen, ebenso mit Regelungs- und Optimierungsverfahren, und verfügt zudem über ein hohes Maß an Digitalkompetenz, betont Braun. „Damit tragen wir dazu bei, dass Deutschland bei der Versorgungssicherheit auch künftig zur Weltspitze gehört!“