C/sells: Neue Lösungen für die Aktivierung von Flexibilitäten dezentraler Erzeuger und Verbraucher

Photovoltaik-Anlagen, Wärmepumpen, Ladestationen, Speicher: Die Einbindung einer Vielzahl dezentraler Erzeuger und Verbraucher in die Netze gehört zu den zentralen Aufgaben der kommenden Phase der Energiewende. Dafür hat das Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik IEE jetzt im Rahmen des SINTEG-Förderprojektes »C/sells« neue Lösungen entwickelt – und diese zusammen mit Partnern in der Praxis erprobt. Netzbetreiber bekommen damit die zunehmende Komplexität bei Erzeugung und Verbrauch in den Griff, Anlagenbetreiber können ihre Flexibilitäten netzdienlich einsetzen. Die Ausgründung »Smartrplace« wird die neuen Energiemanagement-Lösungen des Fraunhofer IEE vermarkten.

»Im Rahmen von C/sells haben wir gemeinsam mit vielen Partnern die beiden Seiten der Aktivierung von Flexibilitäten betrachtet: deren Bereitstellung durch Anlagenbetreiber, Versorger und Dienstleister sowie deren Nutzung durch Netzbetreiber«, erklärt Alexander Dreher, Produktmanager Energiemanagementsysteme im Geschäftsfeld Digitales Portfoliomanagement des Fraunhofer IEE.

Besonderes Augenmerk haben die Forscher dabei auf das Rückgrat der Aktivierung gelegt – auf die informations- und kommunikationstechnologischen Infrastrukturen und das Smart Metering. »Mit entstandenen Lösungen wie dem EnergyPilot haben wir eine neue Energiemanagementsoftware zur Aktivierung der Flexibilitäten entwickelt, die im Zusammenspiel mit unserem Virtuellen Kraftwerk oder alternativen Leitsystemen genutzt werden kann«, sagt Dreher.

Energiemanagement für Netz- und Anlagenbetreiber

Mit dem Zubau dezentraler Erzeugungsanlagen und neuer Lasten gewinnt die Steuerbarkeit der Leistungsaufnahme im Verteilnetz für die Netzbetreiber stark an Bedeutung. Zugleich haben Anlagenbetreiber den Anspruch, ihr Photovoltaik-System, ihre Wärmepumpe oder ihre Ladestation wirtschaftlich optimal einzusetzen, ohne sich bei den Funktionalitäten einschränken zu müssen.

Mit dem EnergyPilot bringt das Fraunhofer IEE diese Anforderungen nun zusammen. Das Energiemanagement-System trägt dazu bei, kritische Situationen zu entschärfen, indem es Erzeuger und Verbraucher netzdienlich regelt. Damit können Netz- und Anlagenbetreiber die Chancen nutzen, die sich mit der anstehenden Neufassung des §14a Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) eröffnen.

Pilotprojekte im Rahmen von C/sells

Wie sich die Energiemanagement-Software für die Flexibilisierung der Erzeugung nutzen lässt, haben die Fraunhofer-Forscher im Biomassezentrum Stausebach bei Marburg gezeigt. Mit dem neu entwickelten Auslegungstool microSCOPE wurden die Flexibilitätspotenziale untersucht und optimiert. Für die intelligente Optimierung des Anlagenportfolios haben die Wissenschaftler den EnergyPilot eingesetzt. Getestet wurde das System im neuen Virtual Lab des Fraunhofer IEE, in dem die Experten das Biomassezentrum digital abgebildet haben. Die Software ist jetzt bereits in operativem Einsatz bei einem Direktvermarkter.

In einem anderen C/sells-Teilprojekt haben die Wissenschaftler die Verbrauchsseite unter die Lupe genommen: In Leimen bei Heidelberg haben sie mit Partnern in einem Gebäude ein lokales Energiemanagement-System eingerichtet, das durch die Steuerung von dort installierten Anlagen und Geräten gewährleistet, dass am Netzanschluss die vom Netzbetreiber gewünschten Leistungswerte eingehalten werden – ohne dass dieser selbst auf die Verbraucher zugreifen muss.

»Im Rahmen von C/sells haben wir mit unseren Analysen und Praxistests viele wertvolle Erkenntnisse gewonnen, mit denen wir die digitale Zukunft der Energiewirtschaft gestalten können«, sagt Dr. Reinhard Mackensen, Leiter des Bereichs Energiewirtschaftliche Prozessintegration beim Fraunhofer IEE.

Gebäudeautomatisierung und Energiemanagement

Die Ausgründung Smartrplace hat zunächst eine Lösung für die Gebäudeautomatisierung auf den Markt gebracht, die eine bedarfsgerechte Einzelraum-Steuerung von Heizung, Lüftung und Klimatisierung ermöglicht. Mit dem EnergyPilot des Fraunhofer IEE lässt sie sich zu einem Energiemanagement-System erweitern, das die Flexibilität von Verbrauchern und Erzeugern im Gebäude für die Netze mobilisiert.

»Wir freuen uns sehr, dass unsere Mitarbeiter trotz pandemiebedingt schwieriger Zeiten die Ausgründung vorangetrieben haben«, sagt Mackensen. »Auf ihrem Weg freuen wir uns auf die weitere Zusammenarbeit.« Gemeinsame Basis dieser und weiterer Lösungen des Fraunhofer IEE ist ein eigenentwickeltes Framework – ein Betriebssystem für das Energiemanagement, mit dem sich einzelne Bausteine für spezifische Aufgaben zusammenführen lassen. Das Institut verfügt über besondere Kompetenz in der Energie-Informatik: Fast 100 IT-Experten sind am Fraunhofer IEE beschäftigt.

Netzzelle Kassel: Inselnetz bei Stromausfall und Blindleistung zur Netzstützung

Ebenfalls im Rahmen von C/sells hat das Fraunhofer IEE in Kassel zusammen mit der Städtische Werke Netz+Service GmbH und dem Steinbeis-Transferzentrum Regenerative Energiesysteme untersucht, wie Wind- und Photovoltaik-Anlagen mit Blick auf die Blindleistung optimal gefahren werden können – und so zu einem effizienten und sicheren Netzbetrieb beitragen. Dabei kam das Netzanalysewerkzeug pandapower zum Einsatz. Darüber hinaus haben die Partner erste Schritte unternommen, um das Stromnetz in Kassel bei einem großräumigen Stromausfall zumindest teilweise mit den Kraftwerken vor Ort versorgen zu können. Konkret haben die Experten zunächst in Machbarkeitsstudien die grundsätzliche Umsetzbarkeit geprüft.

Forschungsprojekt zu Regelungskaskaden

In einem weiteren C/sells-Teilprojekt hat das Fraunhofer IEE zusammen mit Industrie- und Forschungspartnern die Umsetzung der vertikalen und horizontalen Regelungskaskade über verschiedene Netzbetreiber auf allen Netzebenen untersucht. In der Kaskade können kritische Netzzustände durch gemeinsame Abstimmungen benachbarter Netzbetreiber effizienter gelöst werden. Damit sind regelbare Anlagen im Verteilnetz in der Lage, zur Behebung kritischer Zustände im Übertragungsnetz beizutragen.

Dies setzt jedoch voraus, dass geeignete Schnittstellen existieren und ein abgestimmter Austausch von Daten zwischen den Leitsystemen benachbarter Netzbetreiber stattfindet. Diese Grundsätze haben die Forschungspartner in diversen Feldtests erprobt und untersucht. So haben sie zum Beispiel ein Feldtest-Netzgebiet der Stadtwerke Schwäbisch Hall als Simulation in der Co-Simulationsumgebung OpSim nachgebildet und mit dem realen VIVAVIS-Netzleitsystem HIGH-LEIT der Demo-Zelle gekoppelt. In der Simulation wurden exakt dieselben Schnittstellen wie im Feldtest verwendet – die Simulation war aus Sicht des Leitsystems ein digitaler Zwilling des Feldtests, mit dem auch umfassende Abregelungen von Anlagen und kritische, im Feld nicht zulässige Netzzustände untersucht werden konnten. Diese Funktionalität haben die Wissenschaftler erfolgreich in einer Live-Demo erprobt.

»Der Betrieb von Netzzellen mit lokal verfügbaren flexibel steuerbaren Anlagen bietet neue Gestaltungsmöglichkeiten für einen sicheren zellularen Netzbetrieb. Zahlreiche Potenziale konnten wir durch Machbarkeitsstudien, neuen Betriebslösungen und unsere Testumgebung aufzeigen«, zeigt sich Professor Martin Braun, Bereichsleiter Netzplanung und Netzbetrieb, mit den Ergebnissen zufrieden.

 

Hintergrund zu SINTEG – Schaufenster intelligente Energie

Im Förderprogramm "Schaufenster intelligente Energie – Digitale Agenda für die Energiewende" (SINTEG) werden in großflächigen Modellregionen übertragbare Musterlösungen für eine sichere, wirtschaftliche und umweltverträgliche Energieversorgung bei zeitweise 100% Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien entwickelt und demonstriert.

Weiterführende Informationen:
sinteg.de
csells.net
C/sells-Teilprojekt des Fraunhofer IEE

Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Alexander Dreher

microSCOPE:
Katharina Habbishaw

OpSim, pandapower:
Frank Marten
opsim.net
pandapower.pro

Smartrplace:
Dr. David Nestle
smartrplace.com



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