200 m Forschungs- und Klimamessmast zieht um ins »Remote Sensing Test Center« nach Mecklenburg-Vorpommern
Wertvolle Erkenntnisse und Daten für die Lidar- und Klimaforschung verspricht sich das Fraunhofer IEE mit dem Umzug ihres 200 Meter hohen Forschungsmessmasts vom Rödeser Berg bei Kassel ins windreiche Mecklenburg-Vorpommern. Der Messmast ist zentraler Teil des kürzlich gestarteten und vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie geförderten Projekts "ROSE - Remote Sensing Test Center". Ziel ist es, ein Forschungslabor für die Entwicklung von Kalibrierverfahren für neue Lidar-Windmesstechnik und innovative Messdienstleistungen zu etablieren sowie umfangreiche meteorologische Daten zu erfassen und in einer Datenbank über ein Webportal interessierten Nutzern zur Verfügung zu stellen.
Das Fraunhofer IEE und das Messinstitut WIND-consult wollen mit dem Test Center eine hochmoderne Infrastruktur für die Erprobung, Kalibrierung und Klassifizierung von Lidar-Messtechnik sowie für die Klimaforschung errichten und betreiben. Als aktiver Projektpartner mit an Bord ist die Lidar-Entwicklungsfirma Air Profile, die ihre innovativen Lidar-Prototypen hier evaluieren will. Ebenfalls möchte die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) den Messmast nutzen, um ihr hochaufgelöstes bistatisches Lidar-System in großen Messhöhen zu testen. Der Deutsche Wetterdienst DWD ist insbesondere an den Messdaten aus höheren Luftschichten interessiert, um diese in seine Wettermodelle einfließen zu lassen. Das Test Center wird künftig allen Interessenten aus der Lidar-Entwicklung und -anwendung sowie der Klimaforschung und Wetterdatennutzung als Projekt- und Dienstleistungspartner zur Verfügung stehen.
Mit modernen Messverfahren und Sensoren lassen sich viele meteorologische Größen wie Luftdruck, Luftfeuchtigkeit, Lufttemperatur, Wolkenhöhe, Sichtweite, Windgeschwindigkeit und -richtung, etc. schnell und kontinuierlich erfassen. Luftströmungen in verschiedenen Höhen können beispielsweise mit der sogenannten Lidar-Technik indirekt mit Laserstrahlen, die ein am Boden stehendes Gerät aussendet, ermittelt werden. Bei indirekten Messverfahren sind unter Umständen Korrekturalgorithmen oder -mechanismen erforderlich, um die gleiche Genauigkeit zu erreichen wie bei direkten Messverfahren.
“Die Projektpartner planen für den Messmast einen Standort im windreichen Mecklenburg-Vorpommern, den wir für bis zu zehn Jahre nutzen können und der in dieser Zeit nicht durch andere große Bauwerke wie Windenergieanlagen, Gebäude oder Türme in seinen natürlichen meteorologischen Gegebenheiten beeinflusst wird", erklärt Joachim Schwabe von WIND-consult. Der Gittermast hat eine Grundfläche von einem mal einem Meter und eine Höhe von 200 Metern. Im oberen Bereich sind gegenüberliegende seitliche Ausleger mit Messsensoren in mehreren Höhen angebracht, stabilisiert wird die äußerst schlanke Mastkonstruktion mit Abspannseilen.
ROSE – Remote Sensing Test Center
Der Messmast ist zentraler Teil des vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie geförderten Projektes „ROSE – Remote Sensing Test Center“ und zu seinen Füßen wird ein Forschungslabor für die Entwicklung von Kalibrierverfahren für neue Windfernmesstechnik und innovative Messdienstleistungen entstehen. "Im Projekt wird ein Remote Sensing Testfeld errichtet, das in seiner Qualität national einmalig ist und dazu beitragen wird, die moderne Lidar-Messtechnik für die deutsche Wirtschaft weiter zu erschließen und zu optimieren", sind Dr. Tobias Klaas und Dr. Paul Kühn vom Fraunhofer IEE überzeugt. "Das vertikale Freiluft-Messlabor ist außerdem für Gondel-Lidar sowie erstmalig auch speziell für die Validierung und Kalibrierung von scannenden Lidar konzipiert." Auch die PTB möchte den Messmast nutzen, um ihr Lidar mittelfristig zu einem neuen Primärnormal weiter zu entwickeln – als zusätzlichen Ausgangspunkt der auch für die Windenergiebranche erforderlichen Rückführungskette.
Meteorologisches Observatorium
Die mit dem Messmast kontinuierlich gewonnenen Daten sollen in eine meteorologische Datenbank fließen und über ein Webportal vielfältigen Nutzern zur Verfügung stehen. Daran hat u. a. auch der Deutsche Wetterdienst Interesse, der für die Validierung seiner Wettermodelle auch Messwerte in Luftschichten über zehn Meter Höhe benötigt. Bisher liegen dafür von mehreren Standorten in Deutschland nur Daten bis maximal 100 Meter Höhe vor. Mit dem neuen Messmast lassen sich dann wertvolle und bisher seltene Datenzeitreihen bis in 200 Meter Höhe sammeln. Weitere Kooperationen zur Datennutzung für regenerative Energien, Agrarmeteorologie, ornithologische Beobachtung, Waldbrand- und Unwetterwarnung sind denkbar.
Fachansprechpartner:
Dr. Paul Kühn, paul.kuehn@iee.fraunhofer.de, Tel. +49 561 7294-351
Dipl.-Ing. Joachim Schwabe, joachim.schwabe@wind-consult.de, Tel. Tel. +49 38203-50725
Die Projektpartner
Das Fraunhofer IEE in Kassel forscht für die Transformation der Energieversorgungssysteme und entwickelt Lösungen für technische und wirtschaftliche Herausforderungen.
Im Forschungsschwerpunkt Lidar-Messtechnik leistet das Fraunhofer IEE seit 2008 umfangreiche Arbeiten zur Messmast- und Fernmesstechnik für die Windenergienutzung, die den Aufbau des Test Centers und die Entwicklung von neuen Kalibrierungsverfahren ermöglichen.
WIND-consult ist seit über 25 Jahren als Messinstitut im Bereich Erneuerbarer Energien, mit Schwerpunkt Windenergie, tätig. Neben 150 Windmessungen und über 800 WEA-Prototyp-Messungen im In- und Ausland hat WIND-consult seine Expertise zu Messdienstleistungen sowie Forschungs- und Entwicklungsvorhaben eingebracht und weiter ausgebaut.
Die Air Profile GmbH ist ein 2015 gegründetes Unternehmen aus Kassel. Das Start-up hat ein innovatives laterales Lidar-Verfahren zur punktgenauen Fernmessung des Windes entwickelt. Durch die Verwendung von nur einem Laserstrahl ermöglicht der neuartige, zum Patent angemeldete Ansatz eine zweidimensionale Punktmessung. Horizontale Windgeschwindigkeiten und -richtung lassen sich damit im komplexen Gelände bis in große Höhen exakt messen.
Hintergrund zur Lidar-Messtechnik
Lidar (Abkürzung für englisch Light detection and ranging), ist eine dem Radar verwandte Methode zur optischen Abstands- und Geschwindigkeitsmessung sowie zur Fernmessung atmosphärischer Parameter.
Doppler-Lidar senden Laserlicht aus, um mithilfe des Dopplereffekts (Frequenzunterschied zwischen ausgesendetem und an Aerosolen rückgestreutem Laserlicht) die Windgeschwindigkeit in Richtung des Laserstrahls (radial) in einem Messvolumen zu bestimmen. Die dreidimensionale Windgeschwindigkeit kann also nicht direkt gemessen werden.
Gegenüber der Nutzung von Messmasten zählen insbesondere die hohen Messhöhen, die teils erhebliche Kostenersparnis sowie die Flexibilität bei der Aufstellung im Gelände zu den Vorteilen dieser Technik. Die Nachteile liegen in den höheren messbedingten Unsicherheiten im komplexen Gelände, der größeren Ungenauigkeit bei der Messung der Turbulenzintensität sowie dem Ausfall der Messergebnisse bei bestimmten Wetterbedingungen. So können die Messgeräte aufgrund einer zu hohen oder niedrigen Aerosolkonzentration, z. B. bei Nebel oder an klaren Wintertagen, zu wenige verwertbare Signale bekommen, um verlässliche Werte berechnen zu können.
Je nach Anwendung werden verschiedene Annahmen und technische Designs gewählt, um die benötigten Informationen der Windbedingungen zu bestimmen:
• Windprofil-Doppler-Lidar messen die radiale Windgeschwindigkeit in mehreren Richtungen. Unter der Annahme eines homogenen Windfelds berechnen sie daraus den dreidimensionalen Windvektor.
• Scannende Lidar haben eine bewegliche Optik. Long-Range- Scannende Lidar können in Entfernungen bis zu 10 km messen, während mit Short-Range-Windscanner kleinskalige Windströmungseffekte untersucht werden können.
• Gondel-Lidar messen direkt vom Maschinenhaus oder aus der Nabe einer Windenergieanlage. Sie können den anströmenden Wind bis in mehreren hundert Meter Entfernung vor einer Windenergieanlage erfassen. Damit sind u. a. Leistungskurvermessungen sowie vorausschauende Regelungskonzepte mit Ertragssteigerungen bei gleichzeitiger Reduzierung der Bauteilbelastungen möglich.
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