Ziel des Vorhabens ist experimentelle Quantisierung des SEI- und des Dendritenwachstums auf metallischen Li-Oberflächen und damit einhergehend die Implementierung des Wachstums und die Integration in eine auf physikalisch-elektrochemischen Prozessen basierenden Simulationssoftware. Dabei werden die aus den experimentellen Verfahren gewonnenen empirischen Gesetzmäßigkeiten und gemessenen Parameter zur sinnvollen Modellierung der Prozesse verwendet. Zukünftig sollen diese Modelle Anwendung in HiL-Testständen zur Verifizierung von BMS-Algorithmen finden.
Anwendungspotential:
- Experimentellen Methoden zur Quantisierung der SEI und der Dendriten
- Zellhersteller
- Batteriehersteller
- Zulieferer der Batteriehersteller (Elektrolyte, Elektroden, Separatoren, Binder, etc.)
- BMS-Hersteller
- Batteriebetreiber (Elektromobilität, Speicher für erneuerbarer Energien, etc.)
- F&E im Bereich Lithium/Schwefel, Lithium/Luft und Festkörper-Li-Ionen Batterien
Zukünftige elektrochemische Energie-speicher können aufgrund ihrer theoretisch höheren spezifischen Energie (Energie/Masse) und Energiedichte (Energie/Volumen) als Zwischenspeicher für regenerative Energiequellen dienen und im Mobilitätssektor sowohl im Bereich der mobilen Endgeräte (Handys, mobile Rechner, Powertools, etc.) als auch im großen Format der Elektromobilität für deutlich höhere Laufzeiten und Reichweiten sorgen.
Ein vielversprechender Ansatz, der die hohen spezifischen Energien und Energiedichten ermöglichen könnte, stellen die Batterien auf Basis des metallischen Lithiums (Li) dar. Die Verwendung von metallischem Li in elektrochemischen Energiespeichern stellt die Batteriegemeinschaft von der Material- über die Zell- bis zur Systemebene vor neue Herausforderungen. Das hochreaktive metallische Li bedingt den Ausbau einer Schutzschicht auf der Oberfläche der Li-Anode über eine Reaktion des Li mit dem Elektrolyten (engl. solid electrolyte interphase - SEI). Während in der Li-Ionen Batterie eine feste Elektroden-Matrix, in die das Li eingebaut wird, die SEI mechanisch stabilisiert, wird die rein metallische Anode beim Laden und Entladen auf- und abgebaut, so dass die SEI einem viel größeren mechanischen Stress und einer Volumenänderung ausgesetzt ist. Das hierdurch verursachte Aufreißen der SEI bewirkt weiteren Kontakt des Li mit dem Elektrolyten und damit der Verdickung der SEI. Hierbei werden nicht nur das Aktivmaterial Li und der Elektrolyt konsumiert, sondern der Transport der Li-Ionen zwischen den Elektroden zunehmend durch die Verdickung der SEI mit hohem Widerstand gehindert. Zudem neigt das metallische Li an der SEI in dendritischer Form zu wachsen. Diese baumartigen Strukturen bringen das Gefahrenpotential mit sich, die SEI und den Separator zu durchbrechen und durch einen Kontakt mit der Gegenelektrode einen Kurzschluss hervorzurufen. Schematisch ist das Dendriten-Wachstum Abbildung 1 dargestellt.
Der veränderte Batteriezustand aufgrund der verdickten SEI und das Gefahrenpotential durch das Dendritenwachstum müssen auf der Systemebene bedacht werden. Dies erfolgt über sogenannte Batteriemanagementsysteme (BMS), die zur Überwachung und Steuerung komplexer Batteriepacks, wie sie in Elektrofahrzeugen zu finden sind, dienen. Hierbei sollen die Zustände der einzelnen Zellen bestimmt und fertigungs- und altersbedingte Unterschiede ausgeglichen werden. Zusätzlich zur Regelungsfunktion des BMS müssen Defekte erkannt und fehlerhafte und beschädigte Zellen aus dem Verbund des Batteriepacks entfernt werden, um größeren Sicherheitsrisiken wie Bränden durch das reaktive Li und die brennbaren Elektrolyten vorzubeugen.
Die Charakterisierung der Lithiumoberfläche und der Dendriten wird durch deren hohe Reaktivität mit Sauerstoff, Stickstoff, Wasser und anderen Substanzen und die geringe Wechselwirkung mit Röntgenstrahlung maßgeblich eingeschränkt, daher ist die Li-Metallelektrode nach wie vor unzureichend charakterisiert und die Kenntnisse über die Struktur und die Wachstumsgeschwindigkeiten der Schicht zwischen Elektrolyt und Li für eine Simulation nicht ausreichend. Die meisten Untersuchungsverfahren finden außerhalb der Einsatzbedingungen (z. B. Ultrahochvakuum oder getrocknet) statt und sind nicht aussagekräftig für die Vorgänge innerhalb der Zelle während der elektrochemischen Belastung.
Die physikalischen und elektrochemischen Untersuchungsmethoden werden soweit möglich durch eine spezielle elektrochemische Zelle in-operando gekoppelt, sodass die Daten deutlich näher am Anwendungsfall als bei post-mortem Analysen sind. Das entwickelte Modell soll durch Messungen an elektrochemisch symmetrischen Li/Li-Zellen verifiziert und verbessert werden, hierbei sollen elektrochemische Impedanzspektroskopie (EIS) und potentiostatische sowie galvanostatische Zyklisierung zum Einsatz kommen.
Das BMS basiert in der Regel auf komplexen Algorithmen, die aus den makroskopischen Messgrößen der Batteriezelle (Strom, Spannung, Temperatur, etc.) auf den Zustand der Batteriezelle schließen. Diese Algorithmen müssen geschult und verifiziert werden, insbesondere in Hinblick auf die Erkennung defekter und damit gefährlicher Zellen. Dies kann mit Hilfe realer Batterien erfolgen oder unter Verwendung von Batteriemodellen, die einen bestimmten Batteriezustand simulieren und über eine Hardwarekomponente an das BMS weitergeben (Hardware-in-the-Loop – HiL). Reale Messdaten bei unterschiedlichen Betriebsbedingungen der Batterie (gealtert, zyklisiert, defekt, Hitze, Kälte, Tiefentladung, Überladung, etc.) sind zeit- und kostenintensiv, teils gefährlich und nur eingeschränkt reproduzierbar. Mit Hilfe der Modellierung und des HiL-Prinzips können solche Messungen umgangen werden. Hierzu ist ein detailliertes Verständnis der in der Batteriezelle stattfindenden Prozesse notwendig. Bei metallischen Li-Elektroden muss die zeitliche Entwicklung des SEI-Wachstums und des Dendritenwachstums bekannt sein. Das SEI-Wachstum und die damit einhergehenden (elektro-)chemischen Prozesse und Transportvorgänge wurden ausschließlich an der Kohlenstoffelektrode der Li-Ionen Batterie untersucht. Unserer Kenntnis nach wurde bislang keine Modellierung des SEI-Wachstums auf metallischen Li-Oberflächen verwirklicht.
Das geplante Modell für metallische Li-Oberflächen soll das Dendritenwachstum in zwei Dimensionen beinhalten, d. h. das Wachstum über die Elektrodenoberfläche senkrecht zur Wachstumsrichtung. Gleichzeitig soll dieses mit der (inhomogenen) SEI-Schicht und ihrem Einfluss (Morphologie, Geometrie und Widersand) auf die Dynamik des Wachstums kombiniert werden. Hierzu soll zum ersten Mal das SEI-Wachstum auf metallischen Li-Oberflächen modelliert werden. Die Transportprozesse werden entsprechend den etablierten Newman-Modellen gestaltet, die bereits am Fraunhofer IEE für das Li-Ionen-System und für die Blei-Säure-Batterie erfolgreich entwickelt und umgesetzt wurden. Diese Software dient als Basis für die zu modellierenden Wachstumsprozesse der Dendriten und der SEI. Für eine erfolgreiche Umsetzung des Modells und für zuverlässige Resultate sind die empirischen Erkenntnisse über beide Wachstumsprozesse sowie die aus experimentellen Messungen gewonnenen Parameter der elektrochemischen Speicher für die zu entwickelnde Software unabdingbar.