Robuste Entwicklung des Energiesystems zur Wahrung der Energiesicherheit
Die Bedeutung von Energiesouveränität und Resilienz des Energiesystems ist in den vergangenen Monaten in den Fokus der energiepolitischen Diskussion gerückt. Der andauernde Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine führt zu tektonischen Verschiebungen und Umbrüchen auf geopolitischer und somit auch energiepolitischer Ebene.
Mit dem Ausbleiben russischer Gaslieferungen für Deutschland und Europa ist etwas bisher für undenkbar Gehaltenes eingetreten. Für die Zukunft folgt hieraus, dass bei der weiteren Planung und Entwicklung des Energiesystems explizit auch Aspekte stärker in den Vordergrund gerückt werden müssen, deren Eintritt bisher als nahezu unwahrscheinlich gilt. Diese neue Situation beschränkt sich dabei nicht nur auf die genannte Krise, sondern sollte auch mit Blick auf anders gelagerte Herausforderungen mit ähnlichen Risikoprofilen rezipiert werden. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Umweltaspekte und die Anforderung eines preiswürdigen Energiesystems mittel- und langfristig nicht nur priorisiert, sondern auch mit den Strategien zum Umgang mit den neu erkannten Herausforderungen harmonisiert werden müssen.
Eine erste Herausforderung besteht im Konzeptionalisierungsbedarf mit Blick auf die neu in den Fokus gerückte Versorgungssicherheit. Sinnvoll und notwendig ist hier eine spezifische Behandlung von Fragen, die einerseits die Energiesouveränität (in allen Facetten) und andererseits die Resilienz des Energiesystems betreffen. Der Konzeptionalisierungsbedarf besteht somit auch in der Energiesystemanalyse, die ein zentrales Instrument der strategischen und politischen Planung und (Unsicherheits-) Bewertung von Transformationsprozessen wie der Energiewende darstellt. Hier entsteht als zweite Herausforderung die Notwendigkeit, Aspekte wie Abhängigkeiten (Rohstoffe, strategische Güter etc.), Diversifizierung (Bezugsquellen, Technologien, Infrastrukturen etc.), Autarkie (im nationalen oder europäischen Kontext), Vulnerabilitäten und Wiederaufbaufähigkeiten (z. B. nach Extremereignissen) mit geeigneten Instrumentarien und ggf. auch jenseits der Monetarisierung abbilden zu können.
Zielsetzung
Eine Möglichkeit, die genannten Aspekte der Energiesicherheit in einem Energiesystemmodell zu berücksichtigen, stellt die Berücksichtigung von Unsicherheiten in einem stochastischen Modell dar. Ziel des hier angestrebten Vorhabens ist daher die Weiterentwicklung und Nutzung geeigneter Planungswerkzeuge für eine in einem sehr breiten Kontext verstandene robuste und gleichzeitig nachhaltige Energieversorgungsstrategie unter Berücksichtigung bestehender kurz- und langfristiger Unsicherheiten, die sich mit verschiedenen Zeitkonstanten insbesondere auf langfristig zu planende Infrastrukturlösungen sowie Technologie- bzw. Aufkommensstrukturen auswirken.
Im Rahmen des Projekts sollen die folgenden Forschungsfragen beantwortet werden:
- Wie lassen sich die Begriffe Energiesicherheit, Resilienz und Energiesouveränität so konzeptualisieren, dass sie hinreichend konsistent beschrieben, abgegrenzt und auch für die numerische Analyse und Interpretation zugänglich gemacht werden können?
- Wie können die wesentlichen Auslöser, Eintrittspfade und Ausprägungen mit Blick auf Energiesicherheit, die Resilienz oder die Energiesouveränität identifiziert, kategorisiert/strukturiert und ggf. auch in Clustern zusammengefasst werden?
- Was sind die daraus ableitbaren Anforderungen an Energiesystemmodelle?
- Wie lassen sich für die Ableitung robuster Systementwicklungsstrategien relevante Anforderungen und Einflüsse in einem Energiesystemmodell mit Optimierung unter Unsicherheit und konkret im Szenariobaum implementieren?
- Welche Vorteile und welche Grenzen (z. B. durch neue Verletzbarkeiten) hätten multilaterale Ansätze (z. B. gemeinsame Beschaffung und Speicherbewirtschaftung in Europa) im Vergleich zu unilateralem Vorgehen?
- Welche Unterschiede weist ein fokussiert auf die Gewährleistung der Versorgungssicherheit optimiertes Energiesystem im Vergleich zu einem "idealen", stark auf die Kosten hin optimierten Energiesystem auf?
- Welche Trade-Offs zwischen Energiesicherheit, Umweltaspekten und Systemkosten ergeben sich?
Aus methodischer Perspektive und unter dem Aspekt der Open-Source-Verwertung sollen zur Beantwortung der Forschungsfragen zudem die folgenden Ziele realisiert werden:
- Nutzung des bereits existierenden, skalierbaren stochastischen Modellierungs- und Optimierungsframeworks EMPRISE für die mehrperiodige Transformationsanalyse integrierter Versorgungsstrukturen in Europa unter Unsicherheit und dessen Erweiterung um modellendogene Berücksichtigung kritischer Aspekte der Energiesicherheit
- Open-Source-Verwertung von EMPRISE als innovativem Energiesystemanalyse-Tool mit skalierbaren Ansätzen zur Optimierung unter Unsicherheit sowie notwendiger Eingangs- und Ausgangsdatensätze, um den transparenten Zugang zu systemanalytischen Resultaten für Forschende und Anwendende zu ermöglichen